Katalog 2003
Text: Nils Ohlsen
Kunsthalle Emden
Katalogtext:
“Im Norden“
Ungleichzeitiges im Gleichzeitigen
Werner Heinze schöpft seine Bildwelt ganz und gar aus der Gegenwart des von ihm erlebten Diesseits. Die vom Künstler „Im Norden“ betitelte Werkauswahl aus den Jahren 2000-2002 kann als ein Journal von ihm gegangener Wege, Wanderungen und Reisen bezeichnet werden. Mit der stets bei sich geführten Kamera eingefangen, um dann in zeitlichem Abstand im Atelier mit Ölfarben ins meist große Format umgesetzt zu werden, finden sich Motive aus der unmittelbaren Umgebung seines Hauses: Bilder der nahen Stadt Oldenburg, Landschaften aus deren weiterem Umland sowie Darstellungen von der Ostseeinsel Fehmarn.
Landschaft ist in Werner Heinzes Bildern stets die vom Menschen geformte, manipulierte, benutzte Natur. Unspektakuläre Kulturlandschaften wie Felder, Deiche und Kanäle finden sich ebenso wie romantische Parklandschaften oder von Natur umgebene Gebäude. Seine Stadtlandschaften blenden Verweise auf die Gegenwart nicht aus, bevorzugt zeigen seine Bilder jedoch historische Gebäude. Die mehrfach thematisierten weißen klassizistischen Palais und das aus der gleichen Epoche stammende Staatstheater der Stadt Oldenburg mit seinen Säulenportalen und langen Fensterfluchten werden stets in harmonischem Bezug zum Wasser und zur Natur gezeigt. Der unweit gelegene Schlossgarten wird ganz im Sinne romantischer Gartenkunst als vom Menschen inszenierte Natur erfahrbar. Immer betonen diese Werke die harmonische Verbindung von Natur- und Stadt- bzw. Kulturlandschaft, die Möglichkeit der Symbiose von Kultur und Natur, Geschichte und Gegenwart. Der Künstler scheint sich in eine andere Zeit zu malen, ohne dabei den Kontakt zur Gegenwart zu verlieren. Sie zeigen, was da ist, verheißen aber auch, was da sein könnte. Häufig auftretende Brücken-, Boot oder Flussmotive sind ebenso reich an Assoziationen von Sehnsucht und Fernweh wie die Schienen eines fahl beleuchteten nächtlichen Bahnhofs. Wasser und Ufer, Brücken, Tore, Bäche, Horizonte, Boote und Straßen verheißen Übergänge und Grenzen ins Unbestimmte. Wie die prachtvolle Architektur des Klassizismus verweisen auch diese Motive auf die Dimension der Zeit. Heinze ist ein Spurensucher im Diesseits, unentwegt auf der Ausschau nach Orten, an denen die ablaufende Zeit für einen Moment still zu stehen scheint. Seine Bilder werden zur Projektonsfläche für Räume und Zeiten scheinbar jenseits vom Hier und Jetzt der Gegenwart. Nicht selten wirken diese Orte wie verwunschen. Dabei hält er den Betrachter auf Distanz: immer wieder charakterisiert die Werke der Blick auf die zugleich trennende und verbindende Linie zwischen Land und Wasser, Nähe und Ferne: Indem sein Blick in die Tiefe des Bildraumes geführt wird erfährt er die Entfernung zwischen dem Hier seiner Gegenwart und dem Dort des Bildes.
Leicht ist man versucht zu denken, Werner Heinze instrumentalisiere seine Kunst im Sinne einer Dokumentation unterschiedlicher Radien seiner Lebensumgebung. Die Werke zeugen von der Liebe des Künstlers zur Landschaft, seiner Faszination für ihre perspektivische Entwicklung und seine Begeisterung für ihre gegenständliche Vielschichtigkeit. Doch ist Heinze kein Chronist, der mit seinen Bildern eine Art Tagebuch führt, um sich der Orte seiner Wege und Reisen zu erinnern. Die Bilder sind weit entfernt von seismographisch-passiven Niederschriften. Heinze sucht nach etwas anderem. Das Unveränderliche einer Landschaft scheint seiner Bildvorstellung lediglich als Ausgangspunkt zu dienen. Der stets deutlich sichtbare Pinselstrich fixiert etwas auf der Leinwand, das über die bloße Dokumentation der Landschaft herausgeht. Heinzes Bilder ziehen durch ihre von der Farbe getragene Atmosphäre in ihren Bann. Die Bilder scheinen in der Schwebe zwischen Gesehenem und Gespürtem zu verharren. Nicht die materielle Oberfläche der einzelnen Dinge, sondern ihre Erscheinung durch das Licht, das auf sie fällt, sie spiegelt, Reflexe auf ihnen hervorruft, sich auf ihnen bricht oder sie verschleiert ist der eigentliche Gegenstand seiner Bilder und das entscheidende Kriterium für die Wahl seiner Motive. Dabei ist die Bildstruktur von einem Gleichgewicht zwischen disziplinierter Umsetzung der Sehdaten und der freien Gestik charakterisiert.
Indem er die unzähligen Details einer Landschaft in ein atmosphärisches Ganzes umgießt, bringt Werner Heinze das Verbindende ihrer Erscheinung, ihren Kern oder ihre Essenz zum Ausdruck. Erst im Nachfühlen der Landschaft durch den Duktus des Pinsels wird ihr eine Dimension entlockt oder verliehen, die die Werke von topographischen Dokumentationen unterscheidet. Gegenständlichkeit ist in den Werken immer zugleich als Malerei erfahrbar. Heize will nicht mit künstlichen Effekten eines expressiven Duktus überraschen oder verblüffen. Er schlägt eine ruhige damit aber tiefgehende Tonart an, die der Stille seiner Motive entspricht. Gerade in den dunklen Partien schattiger Uferzonen, in denen sich einzelne Lichtreflexe in Farbspielen fangen, stößt das Auge an der Grenze zwischen Gegenständlichkeit und expressiv aufgetragener Farbmaterie immer wieder auf spannungsreiche Harmonien, die der vermeintlichen Dunkelheit optische Sensation intensiver Farbigkeit entlockt. Zwischen der exakt beobachteten Naturstofflichkeit des Motivs und der autonomen Materialität der Farbe öffnet sich der Zugang zu einer Bildwelt, in der die Atmosphäre einer Landschaft und Stimmung des Künstlers in enger Beziehung stehen.
Doch ist es nicht allein das dargestellte Motiv, sondern in besonderem Maße der Blick, der den Bildern ihren eigenartig fernen, zeitlosen Charakter verleiht. Ausschnitt, Perspektive und Betrachterstandpunkt sind bewusste Entscheidungen des Künstlers, die seinen Blick und seine Haltung gegenüber dem Motiv kennzeichnen. Geradezu respektvoll hält Heinze Distanz zu den von ihm entdeckten Orten, so als könnte sich ihr atmosphärischer Zauber bei genauerem Erkunden verflüchtigen. Nichts verbaut dem Betrachter den Blick. Im Gegenteil: das Zentrum der Bilder bleibt oftmals „leer“; zentrale Hauptmotive fehlen. Die Kompositionen bezeichnen zumeist dynamische Blickwege in den Raum des Bildes. Breitgelagerte, flächige Vordergründe dienen als optische Barrieren zum Bildraum, der sich motivisch erst jenseits des Mittelgrundes voll entwickelt. Heinze wählt stets die große Sicht: Wie eine Bühne breitet er die Landschaft aus. Doch wo sind die Akteure? Der Künstler beansprucht seinen Bildraum für sich allein: fast durchweg sind seine Landschaften menschenleer, nur selten sind schemenhaft vereinfachte Figuren in großer Entfernung auszumachen. Anekdotisches sucht man vergebens. Die Bilder erzählen keine Geschichten, markieren keinen zeitlichen Ablauf. Sie sind Bühnen für das Auge des Künstlers bzw. Betrachters, der optisch vom Raum Besitz ergreift.
Werner Heinze beherrscht die Kniffe romantischer Bildkonzeption von Carl Blechen bis Edvard Munch, die den Bildraum zum zeitlosen Resonanzraum der Emotionen des Betrachters machten. Fasziniert von Bildkonzeptionen der Landschaftsmalerei des 19. und frühen 20. Jahrhunderts umgeht er bewusst den Zwang zur Innovation. Auf den Spuren Ernst Ludwig Kirchners bereiste er die Ostseeinsel Fehmarn. Schon 1983-88 wählte er Cadaqués, einen Ort unweit der berühmten mediterranen Motivwelt der Neoimpressionisten als Arbeitsort. In seiner Kunst begibt er sich immer wieder auf eine Zeitreise, die Vergangenes nicht wiederholen, aber doch erahnbar machen will.
Werner Heinze hat ein Gespür für Situationen, die durch ihren optischen Reiz etwas Zeitloses aufblitzen lassen: in seinen Bildern entsteht etwas, was sich als Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen bezeichnen lässt: durch die Konzentration der Atmosphäre einer Landschaft im malerischen Prozess wird der Ort aus seiner Alltäglichkeit oder zeitlichen Bedingtheit gehoben und neu erfahrbar. Die Arbeiten leben von dem unermüdlichen Drang, sich immer wieder des zeitlos Schönen im Licht der Gegenwart zu vergewissern. Seine Bilder sind keine nostalgischen Fluchten in eine schwelgerische andere Realität, sondern Verweise auf ästhetische Nischen im Diesseits, die den Blick wie durch geöffnete Fenster für den Moment in eine andere Realität schweifen lassen.
Dr. Nils Olsen, Kunsthalle Emden, 2003